Artikel erschien am 18. Oktober 2013 auf Westnetz.ch
Jean-Stéphane Bron über seinen Blocher-Film
Hat die Schweiz auf einen Film über den selbsternannten Volkstribunen Christoph Blocher gewartet? Eigentlich nicht, ausser aber der Lausanner Filmemacher Jean-Stéphane Bron (44), bekannt durch „Mais im Bundeshus“ und „Cleveland versus Wallstreet“ nimmt’s in die Hand. Bron erklärt Blochers verletzten Narzissmus, seinen Sinn für Ironie und was Stanely Kubrick damit zu tun hat.
Jean-Stéphane Bron, ihr Film „L’expérience Blocher“ hat bereits im Vorfeld für Furore gesorgt und auch heute haben Sie wieder unzählige Interviews gegeben. Welche Frage können Sie nicht mehr hören?
Keine.
Dann frage ich auch noch: Warum ein Film über Christoph Blocher?
Ich verstehe sehr gut, wenn mich die Leute das fragen. Einige meinten sogar, ich hätte kein Recht, über diesen Mann einen Film zu machen. Wo Blocher doch bereits über soviel politisches und mediales Terrain verfüge, so viel Macht und Geld hätte, brauche er jetzt doch nicht auch noch einen Kinofilm. Aber das Filmschaffen sollte sich die Themen nicht vorschreiben lassen.
Viele erwarten eine Enthüllung: “Wer ist Christoph Blocher wirklich?”
Mein Ansatz geht darüber hinaus, wer dieser Mensch ist. Der Film versucht der speziellen Beziehung zwischen Blocher und der Schweiz auf den Grund zu gehen. Ich verberge vor dem Zuschauer nicht, wie ich über Blocher denke. Jeder verbindet eine bestimmte Idee mit ihm. Nicht, dass mein Film diese Vorstellungen bestätigen soll. Meine Frage ist: Warum funktioniert Christoph Blocher für so viele Leute als Personifikation einer Idee. Unsere Beziehung zu ihm ist ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte unseres Landes.
Emile de Antonio, ein Altmeister des politischen Dokumentarfilms formulierte einmal drastisch zu seinem Filmüber Richard Nixon: „Wenn man einen Schweinehund lange genug zeigt, dann sieht man irgendwann den Schweinehund.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Ich teile diese Meinung nicht. Mein Ansatz ist kein Cinema Vérité. Durch Aufzeigen kommt man dem Wesen nicht auf den Grund. Mein Film ist nicht einfach nur ein Porträt, sondern eine Parabel der Macht. Ich versuchte zu verstehen, was diesen Mann antreibt.
Sie wählen eine für Sie untypische dramaturgische Form: Der von ihnen selbst gesprochene Off-Text erzählt die Gespräche zwischen ihnen und Herrn Blocher. Bei ihrer ersten Begegnung sagte er ihnen: „Ich kenne mich nicht, ich weiss nicht wer ich bin, ich beobachte mich nie“. Glauben Sie ihm das oder ist das Kalkül?
Nein. Jemand, der das von sich selbst sagt, ist nicht so einfach gestrickt wie er sich gibt. Was wir von Bocher kennen ist sein Auftreten in der Öffentlichkeit, seine Heftigkeit und harte Polemik, auch seinen Sinn für Humor. Was wir aber nicht kennen ist seine Schattenseite, sein Innenleben. Ich suggeriere ein düsteres und quälendes Inneres. Lassen Sie mich Albert Camus zitieren, dazu hatte ich bisher noch keine Gelegenheit (schmunzelt). Camus sagte: Auch wenn ich einen Menschen während vierundzwanzig Stunden täglich filme, werde ich noch lange nicht die Wahrheit über diesen Menschen erzählen. Meine Erzählung hat keinen Anspruch darauf, die Wahrheit zu erzählen, indem ich einzelne Begebenheiten und Tatsachen aneinander reihe. Wie Blochers Politik zur Massenbewegung wurde, sein wirtschaftlicher Aufstieg, das ist allgemein bekannt. Ich setze diese Elemente seines Werdegange und seiner Biographie in einen grösseren Zusammenhang und suggeriere eine Interpretation dieses Menschen. Ich betreibe keine Investigation mit dem Ziel der Enthüllung. Ich habe versucht zu verstehen, was ihn tiefgründig bewegt.
Am Anfang des Films steht ein Reim aus Gottfried Kellers Gedicht “Tellenschüsse”: “Die Perle der Fabel ist ihr Sinn.” Sie etablieren ihren Film also in Anlehnung an die Sage von Wilhelm Tell als Fabel. Und somit auch Blochers politische Rhetorik?
Natürlich ist seine Erzählung der Schweiz eine Fabel, aber sie vermittelt Sicherheit. Wir leben in einer von Krisen geschüttelten Zeit, in der es schwer fällt als Gesellschaft ein gemeinsames Ziel zu formulieren. Ich denke dabei nicht nur an die Schweiz, sondern an ganz Europa. Blocher kommt dabei zu Gute, dass er ungehemmt Phantasien verbreitet. Er lebt das Sprichwort: “When the Legend Becomes Fact, Print the Legend”, was soviel heisst wie, man soll nicht immer alles Gesagte für bare Münze nehmen, solange es seinen Sinn erfüllt. Blocher lebt diese Haltung. Es braucht die Mythen, um eine Gesellschaft zu bilden. Nur, dass uns heute die guten Mythen abhanden gekommen sind. Also ruhen wir uns auf einer Mythologie aus, die uns zwar Sicherheit gibt, die aber nicht mehr zeitgemäss ist. Blocher ist aber für viele Schweizerinnen und Schweizer eine Leaderfigur, die Sicherheit vermittelt und sie in ihrem Weltverständnis bestätigt.
Ist Christoph Blocher glaubwürdig als Volkstribun, oder nicht vielmehr ein Landvogt, der im Gewand des Volksbefreiers Wilhelm Tell auftritt – ein Wolf im Schafspelz sozusagen. Schliesslich ist er ein sehr mächtiger Mann.
(Lacht) Nun, Blocher sagt in der Szene vor der Albisgüetli-Tagung ja von sich selbst, dass er wie Wilhelm Tell sei. Er sagt das zwar mit einem ironischen Unterton. Aber ich bin überzeugt, da steckt mehr als ein Witz dahinter.
In einer anderen Szene zeigen Sie wie Blocher an einem Anlass seine Variation von Ruedi Rhymanns “Schachers Seppli” singt: “Blochers Stöffeli”. Darin singt er wie er sogar Gott im Himmel den Rang streitig machen will. Steckt hinter dieser vorgetragenen Selbstironie nicht eine Allmachtsphantasie?
Die Szene ist trotz aller Ironie befremdlich, ebenso wie das zum Teil sehr junge Publikum reagiert. Blocher ist hier schon fast in einer Shakespeareschen Dimension.
Viele Kritiker unterstellen dem Film, er zeige ein sehr sympathisches Bild von Blocher. Ich bin allerdings mit dieser Lesart nicht einverstanden. Dem Film unterliegt ein sehr unheimlicher Subtext. Ich sehe zum Beispiel ein direktes Zitat an die Eröffnungsszene von Stanley Kubricks “The Shining”. Da mäandert das Auto mit Blocher gefilmt aus der Vogelperspektive durch die Landschaft. Oder das Bild des verschlossenen Gartentors erinnert an Citizan Kane. Auch meine ich die Galerie Szene aus Hitchcocks Vertigo zu lesen.
Nein, die Galerie ist ein Zitat aus “Il Divo” von Paolo Sorrentino. Aber Sie haben Recht. Nicht nur auf der visuellen Eben habe ich mit Zitaten gearbeitet. Auch in der Filmmusik von Christian Garcia. Das Hauptthema für diesen Film haben wir dem Soundtrack von Paul Thomas Andersons “There will be blood” abgekupfert. (lacht)
Das ist ein Film über einen Texanischen Öl Tycoonen namens Daniel Plainview, mit Daniel Day-Lewis. “Il Divo” handelt vom ehemaligen Staatspräsidenten Italiens, Juiliano Andreotti. Alles Machtmenschen. Warum aber “The Shining”?
Die Eingeschlossenheit ist doch ein zentrales Thema der Erzählung. Blocher zog sich als Kind zurück, in die Ecke eines eingezäunten Friedhofs. Ausgerechnet! Und zum Schluss sitzt er in seinem Keller mit all den Anker-Gemälden, eine tote Welt, die schon zu Ankers Zeiten so nicht mehr existierte.
Viele, die Blocher besser kennen, behaupten, sein eigentlicher Motor sei verletzter Narzissmus. Er wurde vom Establishment als zu grobschlächtig und zu wenig weltoffen aussortiert. So haben ihn beispielsweise die Zürcher Zünfte nie aufgenommen, oder die Schweizerische Bankgesellschaft – die heutige UBS – warf ihn aus dem Verwaltungsrat, nachdem er die EWR Abstimmung gewonnen hatte. Woran glauben Sie mehr; an politisches Kalkül oder verletzten Narzissmus?
Ich erzähle die Geschichte des verletzten Narzissmus’. Aber das ist nicht seine Geschichte, sondern meine Auslegung. Ein einfaches Beispiel: Wenn Blocher mir erzählt, sein Vater hätte ihm gesagt, er wäre nicht sein Kind, sondern der Sohn der Nachbarn, erzählt er das im Ton eines Witzes. Ich jedoch glaube nicht, dass es sich um eine unschuldige Anekdote handelt, wenn ein Vater seinem fünf- oder sechsjährigen Sohn sagt: Du bist nicht mein Kind. Ich nehme solche beiläufig erzählte Anekdoten sehr ernst und entledige sie der Ironie. Christoph Blocher selbst berichtete immer sehr humorvoll aus seiner Kindheit. Meine Recherchen ergaben aber alles andere als ein Bild einer unbeschwerten Kindheit. Und ich habe viel recherchiert. Nicht über den Politiker Christoph Blocher, das ist nicht meine Aufgabe, sondern über seine Herkunft. Ich habe ehemalige Nachbarn getroffen, mit denen er zur Schule ging. Leute, die Predigten seines Vaters anhörten. Und da wurde mir klar, dass die Leute in diesem kleinen Dorf Laufen am Rheinfall, den Vater von Blocher überhaupt nicht mochten. Und dass die Familie nicht wirklich akzeptiert war in diesem Dorf.
Blocher selbst glaubt aber nicht an ihre Analyse seiner Person?
Blocher ist ein Essentialist. Er glaubt, dass uns unsere Identität praktisch in die Wiege gelegt wird. Er glaubt nicht, dass die existenziellen Umstände uns prägen und konstruieren. Diese Beobachtung lieferte mir auch den dramaturgischen Rahmen, der immer wieder auf die Geschichte seiner Kindheit in Laufen am Rheinfall zurückführt. Auf die Landschaft, das Schloss vis-à-vis von seinem Elternhaus, die kleine Aluminiumfabrik im Dorf. Vierzig Jahre später würde er selbst eine Aluminiumfabrik und ein Schloss besitzen.
Das ist wohl kaum ein Zufall…Warum wollte er den Nationalbank Präsidenten Philipp Hildebrand stürzen?
Nun, Philipp Hildebrand ist eine Inkarnation der entwurzelten globalen Wirtschafts-Elite. Die im Privatjet genauso zu Hause ist wie in Davos, in Washington D. C. oder New York. Das ist nicht meine Überzeugung, aber für die Erzählung von Blochers Weltbild ist Hildebrand eindeutig ein Mann ohne Heimat. Und Blocher greift wie alle Populisten diese Classe Politique an. Darin ist er glaubwürdig, weil er sich ja von dieser Welt ausgeschlossen fühlt. Wie er diesem Weltenbürger Hildebrand misstraut, spürt man schon fast physisch. Aber ich glaube nicht, dass er ihn einfach aus persönlicher Rache attackierte, sondern wirklich aus ideologischer Überzeugung.
Warum wohl, denken Sie, liess Christoph Blocher sich überhaupt auf dieses Experiment ein, einem Film über ihn zuzustimmen?
Ich glaube für ihn war es wie ein Pakt. Wenn er mir sagte: „Ok, ich vertraue ihnen, machen Sie was Sie wollen, aber tun Sie es aufrichtig”. Und ich habe den Film gemacht, den ich wollte. Er sieht es wohl wie Porträtmalerei. Ein Film über ihn, das bedeutet soviel wie, er ist ein wichtiger Mann. Und wer könnte das bestreiten?
Sie haben Blocher während 18 Monaten immer wieder auf seinen Autofahrten begleitet und gefilmt. Das Auto als Aktionsraum haben Sie bereits in ihrem früheren Film “La Bonne Conduite” verwendet. Es gibt Leute wie Martin Weiss, Initiant des ehemaligen Web-Fernsehens “Taxi TV”, die der Überzeugung sind: im Auto kommt das wahre Ich eines Menschen zum Vorschein. Wie denken Sie darüber?
Das ist nicht so falsch und entspricht eigentlich genau der Metapher des Films. Das Auto als mentaler Raum von Christoph Blocher. Und dort hat er mich interessiert. Ich wusste, im Auto würden sich nach einer gewissen Zeit Momente der Entspannung einstellen. Blocher ist zwar ein sehr beherrschter Mensch, aber auch er kann sich nicht über zwei Stunden kontrollieren. Ich erwartete nicht, dass er die Präsenz der Kamera vergessen oder etwas Verrücktes geschehen würde, das nicht. Aber ich rechnete mit kleinen materiellen Veränderungen, wie in seinem Gesichtsausdruck. Blocher ist immer sehr nah bei den Menschen, er setzt sich dem Volk stark aus. Mir ist aufgefallen wie ihn immer alle berühren wollen, als ob sie daraus Kraft tanken wollten, was weiss ich. Diese öffentlich exponierte Person Blocher ist fast schon eine Reliquie. Wenn er jeweils zurück in sein Auto kommt, in den Raum, den ihn beschützt, ist das ein Paradox seiner Person: Ich glaube nämlich, er ist ein ängstlicher Mensch, der sehr schutzbedürftig ist.
Mögen Sie ihn heute besser?
Ah… (denkt nach) Ich kenne ihn heute sicher besser. Aber es geht hier nicht um Sympathie. Blocher als Menschen ernst zu nehmen und ihn mit cineastischen Mitteln abzubilden verhindert, dass wir ihn nur als Phänomen wahrnehmen. In den Medien ist das lange genug geschehen und hat unsere Beziehung zu ihm diktiert. Wie bereits gesagt, der Film hinterfragt unsere Beziehung zu ihm, und somit auch zu den Medien und jenen, die ihm in Zukunft nacheifern.
Haben Sie manchmal das Gefühl, sie wären ein paar Jahre zu früh mit diesem Film? Die Schweiz befindet sich in einem grundlegenden Mentalitätswandel: Politisch wird sie immer stärker polarisiert, das Bankgeheimnis wird nicht mehr lange bestehen. Da wird noch Einiges kommen, wo Blocher noch eine Rolle spielen wird.
Ich glaube, der Moment ist genau richtig. Die Veränderungen sind epochal, sie sind sogar so tiefgreifend, dass wir sie nicht mal mehr sehen. Und genau das antizipiert ja der Film. Das Bankgeheimnis ist ja sowieso schon längst tot. (lacht) Während 10‘000 Jahren war die Schweiz ein Agrarland. Wir haben Sehnsucht nach der heimischen Erde, aber der Bezug fehlt, was uns sehr verunsichert. Die Bauern-Idylle, die er auch in seiner Albert Anker Sammlung sucht, ist Ausdruck von einer Angst vor der Veränderung. Blocher träumte nie davon, Kosmonaut zu werden, oder ein grosser Physiker. Er träumte davon Bauer zu werden.